Sehr geehrte Frau Sünderhauf,
ich bin seit 25 Jahren mit dem Schwerpunkt Familienrecht als Anwältin tätig und habe mit Interesse Ihren Vortrag am Mittwochabend verfolgt.
In einem sind wir uns auf jeden Fall einig: Es ist immer und in jedem Falle erstrebenswert, dass sich Mütter und Väter Familienarbeit und Berufstätigkeit teilen.
Aus meiner Sicht ist es aber etwas spät, mit dem teilen anzufangen, wenn man sich trennt. Dies hat nämlich die folgenden Nachteile: Die Mutter hat sich in der Regel durch eine einen zeitweisen Berufsausstieg und darauf folgende Teilzeittätigkeit in eine Position begeben, in der sie nicht finanziell unabhängig ist. Der Vater wiederum hat wenig Alltag mit den Kindern gelebt, so dass die Beziehung zwischen Vater und Kindern eine andere ist als die zwischen Mutter und Kindern.
Deswegen finde ich es naheliegend, dass die richterliche Anordnung eines Umgangsmodell unter anderem darauf basieren muss, wie die Betreuungsverhältnisse vor der Trennung waren. Auch aus diesem Grund ist ja ein Land wie Schweden Vorreiter bei solchen Modellen, weil die Väter von Haus aus wesentlich mehr in die Familienarbeit involviert sind.
Eine der renommiertesten Scheidungsforscherrinnen, Frau Dr. Sabine Walper, lebt in München, und forscht und arbeitet für LMU und Deutsches Jugendinstitut. Auch ihren Vortrag beim Deutschen Familiengerichtstag habe ich mit großem Interesse verfolgt. Die statistischen Daten sind in etwa die gleichen, mit denen Sie arbeiten. Demzufolge liegt der Schwerpunkt des Wechselmodells bei hoch gebildeten, gut situierten Eltern und bei Kindern im Grundschulalter.
Nun erwecken Sie leider mit ihrem Vortrag den Eindruck, sie hätten das Problem gelöst, ob die Henne oder das Ei zuerst da war:
Es mag richtig sein, dass es Kindern im Wechselmodell tendenziell etwas besser geht als Kindern im Residenzmodell. Sie ziehen daraus den Schluss, dass das Wechselmodell das bessere ist und für alle Familien überprüft werden muss, ob es geeignet ist. Frau Dr. Walper dagegen weist darauf hin, dass die Eltern, die bisher das Wechselmodell durchführen, Eltern sind, die ökonomisch gut gestellt sind, die nahe beieinander wohnen und wenig Konflikte haben. Fast zwangsläufig geht es diesen Kindern aus diesen Beziehungen besser, als Kindern, die in streitigen oder sogar hoch streitigen Verhältnissen zurecht kommen müssen, egal ob im Wechsel- oder im Residenzmodell.
Nach ihrer Ansicht werden Väter diskriminiert? Sie ziehen diese Schluss aus den simplen Zahlen, in welchem Verhältnis das Aufenthaltsbestimmungsrecht Müttern oder Vätern zugeteilt wird. Hierbei vergessen Sie allerdings, dass die Gerichte in der Regel dem Elternteil den Vorzug geben, der auch vor der Trennung die Hauptbetreuung für die Kinder übernommen hatte. Dies ist meines Erachtens folgerichtig und entspricht dem Wohl der Kinder. Erst kürzlich suchte mich eine Mandantin auf, die mir berichtete, ihr Mann habe 6 Jahre Elternzeit genommen und danach Teilzeit gearbeitet, wogegen sie die ganze Zeit Vollzeit berufstätig war. Sie wollte wissen, ob Sie eine Chance habe, nach einer räumlichen Trennung die Kinder bei sich zu haben. Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, dass bei einer solchen Konstellation die Mutter bevorzugt wird! Die Zahl der Zuweisungen des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mütter spiegelt alleine und ausschließlich die tatsächlichen gesellschaftlichen Verhältnisse wieder.
Die Armut der Frauen im Residenzmodell im Vergleich zu den Müttern im Wechselmodell beruht, soweit ich es sehe, nicht darauf, dass mehr Zeit für eine Berufstätigkeit zur Verfügung steht. Es beruht darauf, dass von Haus aus finanziell besser gestellte Paare das Wechselmodell wählen, und dass, insbesondere, wenn Väter jeden Kontakt mit den Kindern abbrechen lassen, die Wahrscheinlichkeit hoch ist, dass sie keinerlei Unterhaltszahlungen leisten. Dies führt zur Armut, aber nicht, weil die Mütter keine Lust haben berufstätig zu sein, sondern weil die Väter wenig Verantwortung übernehmen.
Ihrer Meinung nach verstößt es gegen Art. 6 GG, wenn ein Betreuungsmodell durch ein Veto eines Elternteil verhindert werden kann. Hierbei haben sie aber nur die Elternteile im Auge, die die Kinder im Residenzmodell bei sich betreuen wollen. Was ist mit den Elternteilen, die ihre Kinder nicht die Hälfte der Zeit betreuen wollen? Das ist doch der wesentlich häufigere Fall, dass Mütter zu mir in die Beratung kommen und wissen wollen, wie sie die Väter verpflichten können, regelmäßig und ausreichend Umgang mit ihren Kindern wahrzunehmen. Die Fälle, in denen Väter mehr Umgang haben wollen, als die Mutter es Ihnen zugestehen will, sind wesentlich seltener. Wenn also die Mutter das Wechselmodell möchte, und der Vater nicht, verstößt das dann auch gegen Art. 6 GG? Ich finde hier wird sehr fragwürdig mit zweierlei Maß gemessen. Zumal viele Väter nicht einmal für die Hälfte der Schulferien die Betreuung übernehmen.
Auch ist die Häufigkeit der Übergaben kein Maßstab, ob ein Modell dem Wohl des Kindes dient oder nicht. Eine Übergabe ins Wochenende oder für einen Nachmittag nach der Schule ist etwas ganz anderes, wie eine Übergabe für eine ganze Woche. Hierbei ist doch Grundvoraussetzung, dass sich die Eltern aggressionsfrei gegenseitig informieren können darüber, was in der vergangenen Woche passiert ist und was in der kommenden Woche ansteht, seien es Schularbeiten, Besuche von Freunden, besondere schulische Veranstaltungen, Krankheiten, Zwistigkeiten. Wie das bei hoch strittigen Paaren funktionieren? Sollen die Kinder diese Aufgabe übernehmen?
Darüber hinaus gibt es viele Forschungen, die entweder zu einem anderen Ergebnis kommen, als die von Ihnen zitierten, oder sie werden von anderen Forscherinnen anders ausgelegt. Z.B. wurde in einer australischen Studie (Kaspiew et al.) nachgewiesen, dass selbst bei allen positiven Voraussetzungen ein Wechselmodell für Kinder bis zum Alter von 4 Jahren Nachteile für die Kinder hat. Es gab unabhängige und signifikant schädliche Auswirkungen in Bezug auf mehrere Ergebnisse im Bereich der emotionalen und verhaltensbezogenen Regulation, so die McIntosh-Studie, die Sie nach meiner Erinnerung ebenfalls erwähnt haben.
Durch Befragungen von früheren Scheidungskindern im erwachsenen Alter wurde festgestellt, dass gerade Kinder im Wechselmodell am zögerlichsten sind, ihren Eltern zu sagen wenn sie unglücklich sind, weil sie sich verantwortlich für das Glück ihrer Eltern fühlen (Fehlberg/Smyth).
Ich finde auch die These sehr fragwürdig, und sie wird von namhaften Psychologen wie z.B. Dr. Salzgeber, Mitglied des Vorstands des Familiengerichtstages, in Frage gestellt, dass die Beziehung zum Vater durch bloße Kontaktdauer besser sein soll. Wichtig ist die Qualität der Beziehung, und nicht die Frage, wie viele Tage oder Stunden oder Minuten das Kind bei jedem Elternteil verbringt, so auch die empirisch belegten Ergebnisse Frau Dr. Walpers.
Wenn das Wechselmodell solche absurden Züge trägt, wie von Ihnen geschildert, dass die Kinder sogar wochenweise abwechselnd verschiedene Kindertagesstätten besuchen müssen, damit die Eltern zufrieden sind (was Sie offensichtlich befürworten – Frau Dr. Walper hat es als Kindswohlgefährdung bezeichnet), oder, wie mir eine Richterin bestätigte, dass es sogar französische Beschlüsse gibt, wonach die Kinder wochenweise unterschiedliche Schulen besuchen müssen, wird deutlich, dass das Kindeswohl bei der Wechselmodell-Hysterie keine Rolle spielt. Es geht um Eltern-, meistens Väterrechte, um Macht und um Unterhaltszahlungen.
Ich selbst habe mir mit meinem Mann immer die Familienarbeit hälftig geteilt, bei einer Trennung wäre es gar nicht anders möglich gewesen, als ein Wechselmodell durchzuführen, weil wir beide unsere Berufstätigkeit vollständig darauf abgestimmt hatten. Aber ich erlebe viele Fälle, und zwar prozentual die weit überwiegende Anzahl, in denen die Väter vor der Trennung wie in früheren Zeiten die Haupternährer der Familie waren, wenig Zeit mit den Kindern verbracht haben, und die Mütter ihre Berufstätigkeit vollständig darauf abgestimmt haben, dass sie die Betreuung der Kinder gewährleisten. Warum dies mit der Trennung geändert werden soll, erschließt sich mir nicht.
Mit freundlichen Grüßen
Ulrike Köllner
Rechtsanwältin
Fachanwältin für Familienrecht
